GVO Positionspapier an die Vertreter der Politik
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Durch die nach wie vor andauernden Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stehen viele Unternehmen vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, vielen Bürgerinnen und Bürgern fehlt zunehmend die Kraft und das Verständnis für die beschlossenen Maßnahmen, und die Impfkampagne erreicht leider immer noch nicht den erhofften und notwendigen Umfang. Dieses schwindende Verständnis für die Maßnahmen wird uns auch von Seiten unserer Mitglieder immer häufiger berichtet, was uns sehr besorgt.
Wir freuen uns darüber, dass Sie sich als politischer Entscheidungsträger in den entscheidenden Gremien und im Austausch mit weiteren politischen Kräften für unsere Positionen einsetzen, dass wir nach der Corona-Pandemie nicht vor einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Scherbenhaufen stehen. Wir sehen es als erforderlich an, bei aller gebotenen Vorsicht die regionalen Gegebenheiten bei der Anwendung von Beschränkungen mit Augen-maß anzuwenden – pauschale Regelungen halten wir für nicht zielführend und so kaum noch vermittelbar.
Denn insbesondere die gesellschaftlichen Probleme und das nachlassende Vertrauen in die demokratischen Parteien und ihre Vertreter lassen sich nicht nur durch Ersatzleistungen und Geld beheben! Geld, das übrigens
von irgendwem erwirtschaftet und in Form von Steuern in die Staatskassen abgeführt werden muss.
Konkret fordern wir folgende Maßnahmen zu prüfen und bundesweit umzusetzen.
1. Befristete Aufhebung der Ladenöffnungszeiten und konsequente Kundensteuerung
Begründung: Nach übereinstimmender wissenschaftlicher Meinung kann das Ansteckungsrisiko durch Einhaltung der AHA-L Regeln im stationären Handel stark reduziert werden. Vereinfacht gesagt bedeutet dies: Je größer der Abstand zwischen Menschen und je kürzer die Begegnungszeit, desto geringer das Ansteckungsrisiko.
Betrachtet man die Situation z. B. in Supermärkten oder Drogeriemärkten, so kann der eigentlich notwendige Abstand oft nicht eingehalten werden. Zu Stoßzeiten begegnen sich die Kunden in den Gängen & Regalen und vergessen die notwendigen Abstandsregeln einzuhalten.
Durch eine Aufhebung der Ladenöffnungszeiten hat der Einzelhandel die Möglichkeit, die Kunden auf einen größeren Zeitraum zu verteilen. Wird dies mit einem einfachen Mittel der Kundensteuerung kombiniert, ergeben sich deutlich weniger Kunden pro Quadratmeter als bisher.
Die Kundensteuerung kann z. B. über die Empfehlung von Einkaufszeiten nach Alter unterstützt werden. Jede Altersgruppe erhält somit mehrere „Einkaufsfenster“ pro Woche. Eine vergleichbare Regelung wurde auch in Tübingen bereits im vergangenen Jahr angewendet und umgesetzt.
2. Sofortige Öffnung der Außengastronomie
Begründung: Die Übertragung des Corona-Virus im Freien gilt unter den Experten als sehr unwahrscheinlich, da die Aerosol-Konzentration nicht hoch genug ist. Auf den Seiten des RKI findet sich dazu: „Übertragungen von SARS-CoV-2 im Freien über Distanzen von mehr als 1,5 m und die Vermeidung von größeren Menschenan-sammlungen sind bisher nicht beschrieben. Das Einhalten eines Abstands von mindestens 1,5 m und die Vermeidung von größeren Menschenansammlungen werden jedoch auch im Freien empfohlen, um eine direkte Exposition gegenüber Tröpfchen und Aerosolen zu minimieren“[1].
Die Schlussfolgerung aus dieser RKI-Aussage, dass Außengastronomie möglich ist, stützt auch die Aussage von Aerosolforschern: Wie über die Nachrichtenagentur dpa Mitte April verbreitet wurde, vertreten die Experten die Auffassung, dass im Freien kaum nennenswerte Infektionsrisiken bestehen würden, die wesentlichen Orte des Infektionsgeschehens seien Innenräume.[2]
Somit ist es nicht nachvollziehbar, warum man sich nicht im Freien, unter Einhaltung der entsprechenden Abstandsregeln, in der Gastronomie treffen können soll. Durch eine Erlaubnis würde jeder Gastronom die Möglichkeit bekommen, im Freien seinen Gästen ein entsprechendes Angebot zu bieten.
Mit der Luca-App, der staatlichen Corona-Warn-App und weiteren Lösungen stehen nun auch einfache, digitale Medien zur Kontaktverfolgung in der Region zur Verfügung.
3. Öffnung weitere Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe
Begründung: Die aktuelle Öffnung bzw. Schließung bestimmter Branchen ist nicht nachvollziehbar und aus Sicht vieler Menschen willkürlich. Wir fordern hier eine Überprüfung, welche Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe mit oder ohne Vorlage eines negativen Corona-Tests geöffnet werden können. Auch besteht über die konsequente Anwendung der Click & Meet-Regeln kein erhöhtes Ansteckungsrisiko.
4. Einbeziehung der Unternehmen in die Teststrategie
Begründung: Durch die Vorgaben der Bundesregierung müssen die Unternehmen ihren Arbeitnehmern mindestens 1 Test pro Woche anbieten. Hier muss es möglich sein, dass die Unternehmen den Mitarbeitern, die unter Aufsicht den Test durchgeführt haben, eine entsprechende Bescheinigung ausstellen können, die dann z. B. auch für den Besuch beim Friseur oder Einzelhandel verwendet werden kann. Damit tragen die Unternehmen auch zu einer Entlastung der übrigen Teststellen bei und mehrfache Testungen an einem Tag werden vermieden.
Derzeit ist dies nur nach dem Besuch einer Schulung, z. B. beim DRK möglich.
Durch die nun zu erwartende, deutlich höhere Testanzahl in den Unternehmen stehen solche Schulungen nicht mehr in ausreichender Anzahl zur Verfügung. Deshalb muss die Bestätigung der Testergebnisse auch ohne eine solche Schulung möglich sein. Die korrekte Durchführung der Tests liegt im Interesse jedes Unternehmens!
5. Differenzierte Betrachtung und Berechnung der Inzidenzzahlen
Begründung: Der zentrale Wert für den Umfang der Corona-Maßnahmen ist der Inzidenzwert, d.h. die Anzahl der Neuinfektionen der vergangenen 7 Tage pro 100.000 Einwohner. Die Ableitung sehr weitreichender Maßnahmen (u.a. auch die Einschränkung von Grundrechten) allein von diesem Wert abhängig zu machen, muss überprüft werden.
Entweder müssen weitere Daten (z. B. Belegung der Intensivbetten, Positivrate, …) zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, oder die Inzidenzwerte müssen differenzierter betrachtet werden.
Der Inzidenzwert ist nur ein statistischer Wert, der jedoch nichts über das wirkliche Geschehen in einer Region aussagt.
Beispiel: In 2 Regionen mit jeweils 100.000 Einwohnern gibt es in den vergangenen 7 Tagen 80 gemeldete Neuinfektionen, damit haben beide Regionen eine 7-Tage-Inzidenz von 80! In der einen Region entfallen aber
30 Fälle auf ein Alten- und Pflegeheim. Es muss möglich sein, dass solche Hotspots bei der Entscheidung mitberücksichtigt werden können, da nachvollziehbar ist, dass nicht in beiden Regionen das gleich hohe Ansteckungsrisiko besteht.
Ebenso muss die Aussagekraft des Inzidenzwerts generell differenzierter betrachtet werden: Wie gut dieser
bei der stetig wachsenden Zahl von Schnelltests das tatsächliche Infektionsrisiko und damit die Belastung des Gesundheitssystems abbildet, ist aus unserer Sicht aktuell nicht klar, auch wenn er nicht überbewertet werden darf. Das Landesgesundheitsministerium Baden-Württemberg erklärt dazu zum Beispiel am 12.03.2021:
„… hat einen Effekt auf die Verringerung der Dunkelziffer bzw. auf die Inzidenzwerte, die auf Grundlage der mittels PCR bestätigten Neuinfektionen berechnet werden.“[3]
Natürlich muss der Schutz der Gesundheit als ein hohes Gut an erster Stelle stehen! Die aktuell damit einher-gehende Einschränkung von Grundrechten und anderen Freiheiten muss aber ebenfalls regelmäßig betrachtet und angepasst werden.
Hierzu gehört auch, dass Versammlungen und Veranstaltungen, bei denen von einem hohen Gefährdungs-potenzial auszugehen ist, kritisch geprüft werden. So müssen z. B. Demonstration weiterhin möglich sein, sofern die AHA- und weitere Vorschriften eingehalten werden. Ist davon auszugehen, dass dies jedoch nicht der Fall ist, muss im Vorfeld gehandelt werden.
Der GVO-Vorstand
Joachim Müller (Präsident)
Stefan Beetz (Vorstand Sparte Industrie & Handwerk)
Markus Blust (Vorstand Sparte Handel & Gewerbe, Abteilung Schwenningen)
Rainer Böck (Vorstand Sparte Handel & Gewerbe, Abteilung Villingen)
[1] https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Infektionsschutz.html
[2] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_89826148/corona-regeln-aerosolforscher-fordern-kurswechsel-von-politik.html
[3] https://www.swr.de/swraktuell/schnelltests-treiben-infektionszahlen-nicht-nach-oben-100.html